Die Forschung zur Silicon Economy macht die Logistik in Deutschland fit für die Plattformökonomie der Zukunft: Unternehmen sollen in die Lage versetzt werden, sich innerhalb von Wertschöpfungsketten besser miteinander zu vernetzen. Dabei wollen die Forschenden die heutigen Hürden der Digitalisierung – in erster Linie Integrationsaufwände und Schnittstellenfragen – überwinden. Timo Erler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML und im Forschungsprojekt Silicon Economy, beantwortet die wichtigsten Fragen zum künftigen Betrieb der Silicon Economy.

Welche Rolle spielen digitale Plattformen bzw. plattformbasierte Ansätze heute in der Logistik?

Digitale Plattformunternehmen im B2C-Bereich wie beispielsweise Amazon.com und Alibaba Group gehören heute zu den größten börsennotierten Unternehmen. Im B2B-Bereich haben sich solche dominierenden Marktteilnehmer noch nicht herausgebildet, der Markt ist stark fragmentiert. Allerdings haben sich in der Logistik bereits erste deutsche Plattformen etabliert. Mit unserer Silicon-Economy-Forschung wollen wir der Plattformökonomie hierzulande Rückenwind geben: Nachdem wir inzwischen eine Vielzahl an Komponenten entwickelt haben, mit denen Unternehmen Prozesse auf dem Weg in die Plattformökonomie weiter digitalisieren können, arbeiten wir derzeit daran, Unternehmen den Einstieg in die horizontale Vernetzung zu ermöglichen. 

Welche Probleme sollen durch die Vernetzung in der Logistik konkret gelöst werden?

Die Logistik ist eine hochgradig dynamische Branche: Logistikdienstleister eröffnen immer wieder neue Standorte, es kommen immer wieder neue Partner hinzu. Standorte und Partner müssen in die digitale Infrastruktur – sprich: Plattformen – eingebunden werden. Der Integrationsaufwand ist heute noch immens. Denn mit der Digitalisierung bzw. der Plattform hören die Probleme ja nicht auf. Je komplexer die Daten und die Systeme sind, umso schwieriger ist das Onboarding. So haben die Beteiligten häufig ein unterschiedliches Verständnis ihrer Daten. Mit der Silicon-Economy-Referenzarchitektur wollen wir diese Komplexität unter Beibehaltung der unterschiedlichen Business-Logiken durch offene Schnittstellen und sogenannte Broker – also digitale Vermittler von Daten und Prozessen – vereinfachen.

Was soll die Silicon-Economy-Referenzarchitektur abbilden? 

Zunächst haben wir einen Use-Case entwickelt, der ein fiktives, aber realitätsnahes Szenario für den Weg einer Ware vom Hersteller zum Kunden, von der Produktion bis zum Einsatz, beschreibt. Mehrere Logistikdienstleister müssen hier Hand in Hand entlang der Lieferkette Daten austauschen. Das ist ein Use-Case, in dem sich jedes Logistikunternehmen wiederfindet. Unternehmensgreifende Netzwerke wie diese stellen hohe Anforderungen an die digitale Infrastruktur. 

Die Referenzarchitektur soll aufzeigen, wie Schnittstellen entlang der Wertschöpfungskette gestaltet werden können, sodass das digitale Netzwerk stetig erweitert werden kann. So können neue Teilnehmer partizipieren oder weitere Standorte eingegliedert werden. Für diese Schnittstellen ist ein Konzept der zentralen Registratur angedacht, welches ähnlich zu den »Gelben Seiten« funktionieren soll. Dienste können hier ihre Schnittstellenbeschreibungen bei einem Broker hinterlegen. Der Broker gibt dann Auskunft für Interessenten darüber, welche Sprache der Dienst spricht und welche Informationen er in welcher Form verarbeiten kann.

In dem Use-Case werden wir im Übrigen auch Silicon-Economy-Services verorten: Manche, wie der Transportroboter O3dyn, finden einen Platz an einer Stelle im Use-Case, hier beim Hersteller in der Produktion. Andere, wie der digitale Frachtbrief (eCMR), kommen im unternehmensübergreifenden Austausch zum Tragen. Der eCMR soll uns abschließend auch als Best Practice dienen. Die Referenzarchitektur soll IDS-Konnektoren beinhalten, über die ein souveräner Datenaustausch und Dienstnutzung realisiert werden kann. Mit der IDS Integration Toolbox haben wir im Forschungsprojekt bereits eine Softwarebibliothek entwickelt, die die Integration von IDS-Komponenten in IT-Systeme vereinfacht.

Wie groß ist das Interesse der Unternehmen in der Logistik an der digitalen Vernetzung?

Durch die Einbindung von Unternehmen in die Entwicklungsphase stellen wir die Praxisnähe unserer Lösung sicher. Wir haben schnell Anforderungsgeber gefunden, die besonderes Interesse daran haben, die Schnittstellenproblematik zu lösen, und die uns bei der Entwicklung der Referenzarchitektur entsprechend unterstützen. Erste Validierungsgespräche zeigen, wie hoch der Leidensdruck und wie groß das Interesse der Unternehmen ist.

Warum sind Kooperation und Kollaboration entscheidend für die weitere Digitalisierung in der Logistik?

Für die Entwicklung der Referenzarchitektur verfolgen wir einen agilen Ansatz: Schritt für Schritt werden wir an unserem Use-Case die Mehrwerte vernetzter und föderierter Plattformen aufzeigen. Dabei setzen wir alle Erkenntnisse um, die wir im Laufe des Forschungsprojekts mit unseren Praxispartnern gewonnen haben, und werden die Lösung natürlich auch als Open Source veröffentlichen. Dann ist es an den Unternehmen, Business-Entscheidungen zu treffen und Unternehmensnetzwerke zu gestalten. Das ist eine Aufgabe, die Unternehmen gemeinschaftlich angehen müssen – ein wichtiger Grundgedanke der Silicon Economy. Denn: Eine Plattformökonomie entsteht durch die Kooperation von Unternehmen. Wie gut das bereits funktioniert, sieht man an der Innovation Community der Open Logistics Foundation, die sich ja auch im Rahmen der Silicon-Economy-Forschung gegründet hat. Aus unserem Forschungsprojekt heraus werden wir noch einen Leitfaden entwickeln, in dem Unternehmen erfahren, wie sie diese Gemeinschaftsaufgabe angehen können – angefangen bei der Entscheidung für eine Open-Source-Strategie bis hin zur Entwicklung von Businessmodellen.