Kleine Speditionen und Transportdienstleister sind in Deutschland bislang wenig digitalisiert. Die Planung und Organisation der Fahrten erfolgt üblicherweise mit Stift und Papier, die Kommunikation überwiegend per Telefon oder Fax. »Bislang klappte das bei uns auch reibungslos. Doch die Anforderungen steigen: Wir müssen immer engere Zeitvorhaben einhalten und immer flexibler werden«, so Jens Markowski, Geschäftsführer von ecs-Logistics in Kreuztal im Siegerland. Die Spedition gehört mit rund einem Dutzend Mitarbeitern zu den vielen Unternehmen der Branche, denen eine Digitalisierung bislang nicht zwingend notwendig erschien. Doch, so Jens Markowski: »Auch angesichts der steigenden Aufträge überschreiten wir inzwischen die Grenze, bis zu der eine manuelle Disposition noch funktioniert.« Hinzu kommt: Der Kommunikationsaufwand zwischen dem Disponenten im Unternehmen, den Kunden und den Fahrern erschwert die Konzentration auf die eigentlichen Planungsaufgaben. Vor diesem Hintergrund hat sich das Speditions- und Logistikunternehmen jetzt als Pilotierungspartner für die neue Lösung »KI-basierte ETA« zur Verfügung gestellt.
Wie können Transporte in der Logistik digital effizienter und nachhaltiger geplant werden?
Die Software zur Ankunftszeitenprognose ist im Rahmen des Silicon Economy-Vorhabens am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML entwickelt worden. Die Mission der Silicon Economy ist es, eine digitale Infrastruktur für die Plattformökonomie der Zukunft auszubauen. Sämtliche Software und Hardware wird dabei Open Source entwickelt, d.h. sie ist frei und kostenlos verfügbar – ein Grundprinzip der Silicon Economy. Das eröffnet gerade gering-digitalisierten bzw. kleinen und mittleren Unternehmen die Chance, ihre Digitalisierung voranzutreiben, weil sie die Software – in der Regel mit Unterstützung eines IT-Dienstleisters – einfach auf ihre IT-Infrastruktur stellen und in die Systemumgebung integrieren können. Die »KI-ETA«-Software entstand dabei zunächst ohne größere Industriebeteiligung, wenn auch im Austausch mit potenziellen Anwendern, um für den Markt ein möglichst neutrales Produkt zu entwickeln.
Mit dem Umsetzungsprojekt des Mittelstand-Digital Zentrum Ruhr-OWL können die Entwickler der Software nun den Proof-of-Concept antreten. »Wir freuen uns, dass wir die Lösung nun in einem Unternehmen erproben und vor allem auch weiterentwickeln können«, so Kai Hannemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IML und Mitglied im Projektteam von »KI-ETA«. »Wir gehen davon aus, dass wir unseren Projektpartner innerhalb kurzer Zeit in die Lage versetzen können, seine Transporte digital effizienter und nachhaltiger zu planen.«
Welche Rolle spielt das Tracking bei der Ankunftszeitenprognose?
Die Forscher setzen für die Kreuztaler Spedition ein Dashboard auf, das über eine klassische Website im Internet erreichbar ist. Diese wird beim Fraunhofer IML gehostet, d.h. das Unternehmen benötigt keinerlei eigene Infrastruktur. Der Transportdienstleister erhält damit gleichzeitig eine abgekapselte Systemumgebung, auf der nur er selbst Zugriff hat. Sämtliche Daten zirkulieren nur innerhalb des Betriebs und verbleiben dort. Über das Dashboard kann der Disponent von ecs-Logistics seine Touren planen, neue Transporte anlegen sowie Routen und Fahrzeiten KI-gestützt berechnen.
Zum ersten Mal werden die »Silicon Economy«-Experten die Software auch mit einer Tracking-Lösung verbinden. Dazu wird eine entsprechende App auf den Handys der Fahrer installiert. Der Disponent kann dann am Rechner jederzeit nachverfolgen, wo sich welcher Lkw befinden. Die DGSVO-konforme Lösung läuft nur, wenn sich die Lkws mit einer gewissen Geschwindigkeit bewegen. Die Fahrer haben zudem jederzeit die Möglichkeit, ihr Handy komplett auszuschalten. »Anfangs werden wir sicher zweigleisig fahren und die Transporte weiterhin auch händisch planen. Sobald die Lösung jedoch stabil läuft, ist das Ziel die vollständige Umstellung«, so ecs-Logistics-Geschäftsführer Jens Markowski.
Inwiefern verbessert Künstliche Intelligenz die Qualität der Ankunftszeitenprognose?
Durch die Pilotierung gewinnen die Silicon Economy-Experten am Fraunhofer IML erstmals echte Daten und können das selbstlernende Prognosesystem ihrer Lösung so verbessern. Das Routing basiert auf den Straßendaten des unabhängigen Mobilitäts Daten Marktplatzes (MDM) für Nordrhein-Westfalen. Diese Daten werden anderem über Messsäulen an Autobahnen erhoben. Informationen über Verkehrsregelungen, Sperrungen oder auch Lkw-Überholverbote werden dabei im Minutentakt weitergegeben und in das »KI-ETA«-System eingespeist. Bislang ist für die Berechnung von Ankunftszeiten allerdings die Lkw-Richtgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern hinterlegt. Diese wird allerdings erfahrungsgemäß nicht immer und überall – etwa im Berufsverkehr oder an Steigungen – erreicht. »Im Rahmen des Umsetzungsprojekts erhalten wir nun echte Daten direkt aus dem Lkw. Die Künstliche Intelligenz in unserem System lernt daraus«, freut sich Kai Hannemann. »Das funktioniert im Prinzip wie bei den sprachgesteuerten digitalen Assistenten zuhause: Jede Eingabe macht die Software schlauer – oder in unserem Fall: Jede echte Angabe macht unsere Prognosen noch genauer.«
Das Umsetzungsprojekt ist bereits im Februar gestartet und läuft insgesamt über sechs Monate.
Welche Mehrwerte bietet die KI-basierte ETA auf einen Blick?
- Darstellung aller aktiven Transporte als Übersicht in einer Tabelle
- Nachverfolgung der aktuellen Position einzelner Transporte
- Ermittlung der Ankunftszeitenprognose eines Transports auf Basis von Lkw-Geschwindigkeiten
- Lösung basiert ausschließlich auf offenen Datenquellen
- KI-Verbesserung durch eigens aufgezeichnete Trackingdaten möglich
- Datenmissbrauch durch »Abkapselung« des Systems ausgeschlossen