Stress erkennen, Stress vorhersagen: Durch eine dynamische Pausenorganisation können Logistikunternehmen die Arbeitsorganisation und Ressourcensteuerung im Lager, aber auch im Bereich Transport flexibilisieren. Möglich macht das ein neuer Dienst, der im Rahmen der Silicon Economy entwickelt wurde: die »Dynamische Pause«.

Das Interesse der Logistik daran ist groß, denn: »Zum einen besteht bei Unternehmen der Bedarf, die bislang starren Strukturen der Arbeitsorganisation stärker an die tatsächlichen Anforderungen in der Intralogistik und dem Transport anzupassen. Zum anderen haben Unternehmen heute verstärkt auch Kennzahlen wie die Krankenquote oder die Fluktuation im Blick, die durch logistiktypische Arbeitsanforderungen, aber auch eine erhöhte Arbeitsintensivierung beeinflusst werden«, so Dr. Veronika Kretschmer vom Fraunhofer IML, die das Entwicklungsprojekt im Rahmen der Silicon Economy als Product Owner betreut hat. »Insbesondere im Bereich der Transportlogistik sorgt das Zusammenspiel aus mentaler und körperlicher Erschöpfung für ein stark erhöhtes Unfallrisiko.«

Wie kann die Arbeitsorganisation in der Intralogistik mithilfe von Künstlicher Intelligenz verbessert werden?

Das Projekt »Dynamische Pause« zeigt, dass Künstliche Intelligenz in den kommenden Jahren nicht nur die Warenströme dieser Welt verhandelt, steuert und disponiert, sondern auch in ganz anderen Bereichen der Logistik Einzug halten wird: Die digitale Lösung empfiehlt Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern individuell kurze Erholungspausen auf der Basis echter Stressparameter, die von einem Sensorarmband, das die Mitarbeitenden tragen, gemessen werden. Ein kritisches Stresslevel kann dabei nicht nur erkannt, sondern sogar vorhersagt werden. Möglich macht das die Analyse der Vitaldaten auf der Basis von maschinellem Lernen: So lassen sich in Vitaldaten Muster erkennen, die im Ergebnis zu einer Pausenempfehlung führen.

Aus welchen Komponenten besteht die Anwendung »Dynamische Pause«? 

Wie alle Silicon Economy-Entwicklungen besteht die »Dynamische Pause« aus verschiedenen Open Source-Komponenten. Dazu gehören:

  • eine mobile Anwendung zur Kommunikation mit den Mitarbeitern im Unternehmen, sprich: eine App,
  • ein Stressdetektionsservice (SDS), der die Vitaldaten der Mitarbeiter mit maschinellem Lernen analysiert, sowie
  • ein Ressourcenmanagementservice (RMS) zur Verwaltung der Pausenanfragen, die vom Mitarbeiter kommen, und der Pausenempfehlungen, die vom SDS ausgewertet werden. Der RMS kommuniziert direkt auch mit der IT des Unternehmens.

Der Quellcode für die Fachkomponenten wird zeitnah im Silicon Economy-Repository zur Verfügung stehen.

Bei welchen Entscheidungen unterstützt die »Dynamische Pause« den Menschen?

Und so funktioniert die »Dynamische Pause« in der Praxis: Der Mitarbeiter legt mit Beginn des Arbeitstags sein Sensorarmband an und loggt sich in die App ein. Den kompletten Tag über werden seine Vitaldaten – etwa der Pulsschlag, elektrodermale Aktivitäten oder die Körpertemperatur – erfasst und im Hintergrund mit Künstlicher Intelligenz analysiert. »Wir bedienen uns dabei eines tiefenneuronalen Netzes, in diesem Fall eines Faltungsnetzes, das wir mit Daten aus einer Laborstudie trainiert haben. Auf Basis der Daten haben wir bereits eine Trefferquote von 96 Prozent«, so Benedikt Mättig vom Fraunhofer IML, Scrum Master und Entwickler für die »Dynamische Pause«. Im Anschluss an das im Rahmen der Silicon Economy inzwischen abgeschlossene Projekt sollen nun auch – noch wertvollere – reale Daten aus Unternehmen erhoben werden.

Sobald der Mitarbeiter einen Stresspegel erreicht hat, der darauf schließen lässt, dass er eine kurze Pause benötigt, erhält er vom System eine Benachrichtigung. Der Mitarbeiter hat die Wahl, ob er die vorgeschlagene Erholungspause annimmt oder ablehnt. Nimmt er sie kann, stoppt die Arbeitszeit und die Zeitmessung für die Pause startet. Der Mitarbeiter kann die Pause von sich aus beenden oder auch eine Empfehlung des Systems abwarten. Dafür müssen allerdings die Prozesse des einzelnen Unternehmens berücksichtigt werden. Natürlich kann der Mitarbeiter auch immer selbstständig eine Pause anmelden. Die Entscheidung, wie viele Mitarbeiter parallel in die Pause gehen können, obliegt letztlich immer dem Schichtleiter bzw. Disponenten.

Sämtliche Anfragen und Empfehlungen laufen bei ihm in einem Dashboard zusammen. So kann er eine Pause auch ablehnen, wenn die Arbeitslast zu groß ist bzw. Grenzwerte in Abhängigkeit zur Auftragslast einstellen, sodass das System eigenständig Pausen gewährt oder ablehnt. Die Daten der Mitarbeiter werden anonymisiert dargestellt, so dass der Disponent nicht sehen kann, wer genau die Pause angemeldet hat. Das Datenschutzkonzept für die »Dynamische Pause« wird in den kommenden Wochen noch weiter verfeinert.

Fotos: Fraunhofer IML