In den 2000er Jahren gehörten die elektrisch betriebenen Einpersonen-Fahrzeuge der Marke »Segway« zu den angesagten Spaß- und Modefahrzeugen für Jung und Alt. Das Fahrprinzip der Plattform auf zwei Rädern ist inzwischen aktueller denn je: Forschende aus der Silicon Economy haben das »inverse Pendel« dazu genutzt, im Entwicklungsprojekt »OpenDynamics« eine Plattform mit einer intelligenten Balancierautomatik zu bauen, die eine neue Klasse von dynamisch stabilen Robotern begründen soll. »Unser Forscherteam hat das Prinzip von Anfang an so fasziniert, dass wir alles darangesetzt haben, daraus eine logistische Anwendung zu entwickeln, die einen echten Mehrwert bietet«, so Mathias Rotgeri, Leiter des Prototypenzentrums am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML. »Dank der Pendelbewegung kann ein Roboter, der auf unserer Plattform basiert, nun Objekte direkt vom Boden abheben und in unterschiedlichen Höhen abgeben.« In der Intralogistik lassen sich für solche überaus wendigen, schnellen Transportroboter, die eine All-in-one-Lösung versprechen, zahlreiche Anwendungen finden.
Über welche Funktionalitäten verfügt der neue intelligente Transportroboter für die Logistik?
Die Mechanik der Plattform ist denkbar einfach und ebenso smart: Statt auf vier Antriebsrädern wie klassische Transportroboter bewegt sie sich auf zwei Rädern fort. Die Geschicklichkeit und Souveränität, mit der die Plattform über unterschiedlichste Untergründe fährt, haben ihr die Forscher in zahlreichen Versuchen und Funktionstests antrainiert – indoor wie outdoor. Das Prinzip dabei: Einmal mehr aufstehen als hinfallen! Mühelos fängt die zweirädrige Plattform inzwischen jegliche Bewegungsimpulse von außen ab, lässt sich weder durch Stöße mit der Hand noch durch Kicks mit dem Fuß irritieren, meistert gekonnt Auffahrten auf Rampen und Abfahrten von Stufen. Auch holpriger Asphalt und andere unebene Flächen im Außenbereich stellen für die Plattform keine Hindernisse mehr da. »Bereits seit einiger Zeit schon verfügen wir über einen Prototyp, der mit Highspeed über den Hallenboden kurvt – und nicht nur dort erhebliche Geschwindigkeiten erreicht«, so Mathias Rotgeri.
Welche Aufgaben der Intralogistik meistert der Transportroboter?
Mit der funktionsfähigen Plattform haben die Forscher einen entscheidenden Durchbruch für die neue Kategorie dynamisch stabiler Transportroboter in der Intralogistik erzielt. Dafür kann sie mit unterschiedlichsten Greiferlösungen zum Halten, Positionieren und Bewegen von Waren ausgestattet werden. »Das Besondere ist, dass sich dann auf eine sehr smarte Art und Weise viele intralogistische Aufgabenstellungen bewältigen lassen, für die man bislang noch mehrere Roboter einsetzen muss«, erläutert Mathias Rotgeri die Vorteile der Lösung. Grundsätzlich verbessere sich das Handling von Waren, Pickrates lassen sich maximieren.
Welche Rolle hat Künstliche Intelligenz bei der Entwicklung des Transportroboters gespielt?
Von entscheidender Bedeutung für die Fortbewegung der Plattform bzw. die Automatisierung des späteren mobilen Transportroboters ist die Steuerung, die – ebenfalls im »OpenDynamics«-Projekt der Silicon Economy – auf Basis einer KI-basierten Simulation entwickelt wird. So kann die Pendel-Plattform einen vorgegebenen Pfad abfahren, ihre Umgebung erkennen, sich selbst lokalisieren und entsprechend Hindernisse umfahren – alles eine Frage der Navigationssoftware, die beliebig weiter ausbaubar ist und stetig weiterentwickelt wird.
Die Forschenden sind nun gespannt darauf, welche Lösungen auf Basis ihrer Entwicklung entstehen. Denn: Der Bauplan für die erste Pendelstufe des Chassis soll – wie alle Ergebnisse aus der Silicon Economy – open source gestellt werden. Mathias Rotgeri: »Mit der Silicon Economy entwickeln wir ja grundsätzlich Lösungen für sogenannte Commoditys in der Logistik – also Anwendungen, die zwar alle Unternehmen benötigen, die aber gleichwohl nicht wettbewerbsdifferenzierend sind. Im Software-Bereich sind dies etwa Track- & Trace-Dienste. Mit unserer Plattform haben wir nun im Hardware-Bereich nun genau so eine Standardlösung entwickelt, die jedes Intralogistik-Unternehmen brauchen kann.«
Wie groß das Interesse an der Kommerzialisierung der Entwicklung ist, zeigt sich parallel zum Silicon Economy-Vorhaben: Auf Basis des offenen Quellcodes wurden am Fraunhofer IML bereits innovative Funktionalitäten für das Chassis entwickelt, die bereits in einen Patentantrag gemündet sind. Das entsprechende Versuchsfahrzeug wurde einem kleinen Kreis an Logistikexperten unter dem Namen »evobot« als Vorstufe der neuen Klasse dynamisch stabiler Roboter auf den IFOY TEST DAYS Ende März 2022 vorgestellt.